Thursday, February 02, 2006

Torino 2006 - Die Außenseiter

(www.spoor.ch 01.02.2006)

Torino 2006 - Die Außenseiter
Im zweiten Teil unserer Vorberichterstattung zum Olympischen Eishockeyturnier nimmt www.spoor.ch die Mannschaften aus Italien, Kasachstan, Deutschland und Lettland genauer unter die Lupe.


Italien – Dabeisein ist Alles
Frei nach dem olympischen Motto “Dabeisein ist Alles” nimmt das italienische Eishockeyteam die Wettkämpfe in Turin in Angriff. Bereits acht Mal mischten die Azzuri bereits bei Olympischen Eishockeyturnieren mit, doch wirklich in Szene setzen konnte sich der Eishockeyzwerg dabei nie. Die beste Olympiaplatzierung datiert aus dem Jahr 1956 bei den Heimspielen in Cortina d’Ampezzo, als die Italiener den siebenten Rang erreichten. Das letzte Mal gab sich Italien 1998 in Nagano die Ehre, hat aber auf internationaler Ebene seit der Weltmeisterschaft 2002 in Göteborg nicht mehr im Konzert der Großen mitgespielt. Zwar sind die Azzuri gerade erst im letzten Jahr aus der Division I in die A-Gruppe aufgestiegen, doch auch trotz Heimvorteil hängen die Trauben für die Mannschaft von Michel Goulet sehr hoch.
Da Italien in Salt Lake City 2002 nicht mit von der Partie war, sind nur fünf Spieler mit Olympia-Erfahrung im Kader. Eishockeyveteran Lucio Topatigh bestreitet im Alter von 40 Jahren sein Abschlussturnier und nimmt seine vierten Winterspiele in Angriff. Traditionell besteht das italienische Team aus einer Vielzahl an Italo-Kanadiern und Italo-Amerikanern (insgesamt 11 Spieler) und die meisten Akteure der Squadra Azzura verdienen ihr Geld auch in der heimischen Serie A
Das Keeper-Gespann des HC Bozen ist im italienischen Nationalteam eine Bank. Günther Hell und Jason Muzzatti teilen sich die Aufgaben im Team, wie auch in der Meisterschaft, brüderlich.
In der Defensive werden die Jungstars Armin Helfer, Christian Borgatello (beide Milano Vipers) und Carter Trevisani (Asiago) von den Routiniers Michele Strazzabosco (Milano) und Bob Nardella (Rockford Ice Hogs/ UHL) unterstützt. Klangvollere Namen zieren da schon den Angriff der Squadra Azzura. Neben den Mario Chitarroni und Joe Busillo (beide Milano) sollen vor allem Österreich-Legionär Anthony Iob (KAC) und der beste italienische Scorer der Serie A Jason Cirone aus Asiago für die notwendigen Tore sorgen.
Unerklärlich warum Trainer Goulet im Sturm auf Bozen-Torjäger Roland Ramoser und Milano Stürmer Dino Felicetti verzichtet. Beide waren noch im vorigen Jahr maßgeblich am Wiederaufstieg Italiens in die Gruppe A beteiligt.

Vor eigenem Publikum wird sich der Gastgeber sicher immens ins Zeug legen. Das wird auch nötig sein, denn gegen die Gruppengegner aus Kanada, Finnland und Tschechien kann man schnell in ein Debakel laufen. Realistischere Möglichkeiten auf einen Punktgewinn haben die Azzuri gegen Deutschland und die Schweiz. Sollte der Gastgeber aber die Vorrunde überstehen, wäre das schon eine Riesenüberraschung.
Die italienischen Eishockeyfans können sich aber trotzdem auf ein Turnier der Extraklasse freuen und sollten sich auch Juventus-Star Pavel Nedved als Co-Kommentator der RAI nicht entgehen lassen. Er wird den Spielen der tschechischen Mannschaft beiwohnen.


Kasachstan – Strikte und disziplinierte Defensive
Ähnliche Vorraussetzungen wie für Gastgeber Italien gelten auch für das Team aus Kasachstan, welches sich im Februar des letzten Jahres beim Olympiaqualifikationsturnier in Klagenfurt gegen Österreich, Frankreich und die Ukraine knapp durchsetzen konnte. Im Kader der Zentralasiaten befinden sich, neben sieben Akteuren vom nationalen Serienmeister Torpedo Ust-Kamenogorsk, gleich 13 Spieler aus der Russischen Superliga. Mit Nik Antropov und Vitaly Kolesnik haben die Kasachen zudem noch zwei NHL-Profis in ihren Reihen. Torhüter Kolesnik rivalisierte sich in dieser Saison schon mit David Aebischer bei den Colorado Avalanche, wurde aber nach sieben Spielen wieder zum Farmteam Lowell Lock Monsters in die AHL abgeschoben. Goalie Vitaly Yeremeyev schnupperte in der Saison 2000-2001 bei den New York Rangers auch schon kurz NHL-Luft und ist seit vier Jahren bei Dynamo Moskau unter Vertrag.

Nikolai Antropov war 1998 der Erstrunden Draftpick (overall Nummer 10) der Toronto Maple Leafs und ist nunmehr die sechste Saison in Ontario. Der physisch starke Center soll als Leitwolf das Team Kasachstan führen. Unterstützen werden ihn die Routiniers Konstantin Shafranov und Verteidiger Alexei Troschinsky, die ihre Rubel seit über zehn Jahren in Russland verdienen.
Für die nötigen Tore sind die Koreshkov-Brüder verantwortlich. Alexander und Evgeny spielen seit nunmehr 15 Jahren immer in derselben Linie und verstehen sich demgemäß blind. Ob die in die Jahre gekommen Brüder auch in Turin für Tore am Fließband sorgen können, bleibt aber eher zu bezweifeln.
Obwohl die Kasachen bei den letztjährigen Weltmeisterschaften in Österreich durch strikte und disziplinierte Defensivtaktik gegen einige hoch favorisierte Teams nur knappe Niederlagen einstecken mussten, scheinen sie vom Schritt zum Sieg gegen eine Topnation doch noch zu weit entfernt. Die Entwicklung des Eishockeysports im flächenmäßig neuntgrößten Land der Erde geht gut voran, doch für den großen Coup ist der Kader doch noch zu dünn besetzt.
Überdies darf man sich von den Kasachen kein Offensivfeuerwerk erwarten. Bei der letztjährigen WM in Wien erzielten sie in sechs Spielen gerade einmal fünf Treffer. Doch mit einem überragenden Vitaly Kolesnik im Tor und ein wenig Glück könnte sich der ein oder andere Punkt eventuell ausgehen. Bei ihrer ersten Olympiateilnahme in Nagano 1998 errangen die Kasachen immerhin den achten Platz. 2002 waren sie dann nicht dabei und 2006 in Turin werden die Mannen aus dem Zentrum Eurasiens wohl schon nach der Vorrunde ihre Koffer packen. Wie bei Gastgeber Italien wäre eine Viertelfinalqualifikation eine gigantische Überraschung.


Deutschland - Wiedergutmachung steht auf dem Programm
Der Nachbar aus Deutschland ist nach dem Abstieg in die Division I bei den Weltmeisterschaften in Österreich heiß auf Revanche. NHL-Veteran Uwe Krupp leitet seit Dezember 2005 die Geschicke der DEB-Auswahl und der ehemalige Stanley Cup Sieger hat eine gelungene Mischung aus erfahrenen Spielern und talentierten Jungstars in seinem Kader einberufen. Die Deutschen sind seit jeher für eine Überraschung gut und keinesfalls zu unterschätzen.
Mit dabei sind natürlich alle aktuellen NHL-Spieler. Neben den Verteidigern Christian Ehrhoff (San Jose), Dennis Seidenberg (Phoenix) und Christoph Schubert (Ottawa), werden auch Jochen Hecht (Buffalo), Marco Sturm (Boston) und Rookie Marcel Goc (San Jose) in Turin auf Punktejagd gehen. Eckpfeiler im deutschen Team ist Washington Capitals Goalie Olav Kolzig. Der Vezina-Trophy Gewinner 2000 (bester Torhüter der NHL) weiß über die Stärken aller NHL-Stars bestens Bescheid und seine Back Ups Robert Müller und Thomas Greiss werden in Turin wohl nur zu sehr wenig Eiszeit kommen.

Neben den NHL-Profis vertraut Uwe Krupp auf die Erfahrung der DEL-Stars Daniel Kreutzer, Klaus Kathan (beide DEG), Stefan Ustorf (Berlin) und Tomas Martinec (Nürnberg). Eishockey Weltenbummerl Jan Benda kommt ein viertes Mal zu Olympischen Ehren. Zurzeit steht der bullige Center in der Tschechischen Extraliga beim HC Chemopetrol Litvinov unter Vertrag und geht dort an der Seite von NHL-Veteran Robert Reichel auf Punktejagd. Durchaus erfolgreich, denn Benda führt die interne Punkteliste des Nachzüglers an.

Deutschland war bereits 17mal bei Olympischen Eishockeyturnieren vertreten und konnte 1932 und 1976 die Bronzemedaille gewinnen. 2002 überraschten die Deutschen unter Hans Zach und wurden Fünfter. Wollen die Deutschen auch in Turin bestehen, werden sie auf Abwarten spielen und sich in Geduld üben müssen. Der Schlüssel zum Erfolg liegt in herausragenden Torhüterleistungen und Minimierung der individuellen Fehler. Besonders in der Defensive fehlt den Deutschen ein routinierter Führungsspieler. Im Angriff besitzt man hingegen einige sehr schnelle und erfahrene Cracks die immer wieder für ein Tor gut sind. Dass der Kampfgeist beim Nachbarn ohnedies immer bis zur letzten Sekunde vorhanden ist muss man nicht extra erwähnen.
Wiedergutmachung für den Abstieg aus der A-Gruppe ist bei Team Germany also angesagt. Mit dem Pflichtsieg gegen Italien und einem Erfolg, in der wahrscheinlich entscheidenden Partie, gegen die Schweiz würden sich die Deutschen im Viertelfinale wieder finden. Doch die Schweizer Nationalmannschaft wird da wohl auch noch ein Wörtchen mitsprechen wollen.


Lettland – Alternde Stars mit viel Herz
Das eishockeyverrückte Lettland geht in Turin 2006 mit einer Legionärstruppe der besonderen Art in die Wettkämpfe. Die Spieler der lettischen Equipe verdienen ihr Geld in zehn verschiedenen Ländern und im Kader sind noch zahlreiche Akteure die vor dem Zerfall der Sowjetunion in der russischen Liga im Einsatz waren. Jene Akteure sind altersmäßig natürlich schon über dem Zenit ihrer Leistungsfähigkeit, doch wenn es darum geht für ihr Heimatland auf Medaillenjagd zu gehen, sind die Routiniers immer noch bis in die Haarspitzen motiviert.
Der bekannteste Vertreter dieser Spezies ist Torhüter Artus Irbe. Er spielte sogar noch 1989 und 1990 im Weltmeisterschaftsteam der UDSSR. Der bald 39jährige hat in der Zwischenzeit 619 NHL-Spiele hinter sich gebracht, stand zweimal im NHL All-Star Game und führte die Carolina Hurricanes in der Saison 2001-2002 ins Stanley Cup Finale. Derzeit werkt der lettische Superstar beim österreichischen Tabellenführer EC Red Bulls Salzburg. Man wird sich in Turin überzeugen können ob er annähernd an die Form seiner Hochblüte anschließen kann. Seine Ausrüstung ist jedenfalls seit Jahren dieselbe geblieben und zum Markenzeichen des lettischen Nationalhelden geworden. Mit Edgars Masalskis steht aber schon ein junger Nachfolger ante portas und könnte bereits in diesem Turnier in die Fußstapfen seines großen Idols treten.

In der Defensivabteilung stehen mit Karlis Skrastins (Colorado Avalanche) und Sandiz Ozolinsh (Anaheim Mighty Ducks) zwei erfahrene NHL-Haudegen. Ob Ozolinsh allerdings topfit sein wird bleibt abzuwarten. Sein letztes NHL-Spiel machte der 33jährige am 27. November 2005. Danach pausierte der Offensivverteidiger wegen einer Knieverletzung und unterzog sich gegen Ende des vergangenen Jahres freiwillig einem Substanzentzugs Programm.

Weitere bekannte Namen im lettischen Aufgebot sind auch in heimischen Eishallen mehr oder weniger zu bewundern. Grigorijs Pantelejevs verdient seit Kurzem beim EV Zug seine Brötchen und Leonid Tambijevs ist beim EHC Basel unter Vertrag.
Alexandrs Semjonovs hat, wie viele seiner alternden Kollegen an Scoringqualitäten eingebüßt und ist derzeit im schwedischen Malmö engagiert. Janis Sprukts stürmt in der finnischen SM Liga für den HPK Hämeenlinna und Aigars Cipruss kehrte aus Finnland zu seinem Stammverein HK Riga 2000 zurück. Ein großer Name wird dem lettischen Team aber mit Sicherheit fehlen. NHL-Veteran Sergei Zholtok verstarb während des NHL-Lockout nach einem Eishockeymatch für seinen Heimatklub Riga an Herzversagen

Wenn die Letten ins Viertelfinale wollen muss man entweder Schweden, Russland, die USA oder die Slowakei hinter sich lassen. Eine schwierige Aufgabe für Trainer Leonid Beresnevs, denn das Angebot gut ausgebildeter Eishockeyspieler wird im Zwei-Millionen Einwohner Staat immer beschränkter.

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